Ausstellung in der Galerie am Kelterberg in Vaihingen vom 11.1. bis 2.2.25
Through the Looking Glass
Eingangsbereich
Vorraum
Raum 1
Raum 2
Raum 3
Einführungsrede von Ben Bayer
Liebes Publikum,
ich darf Sie heute Abend zur Ausstellung „Through the Looking Glass“ von Karen Bayer begrüßen und möchte Ihnen dazu eine kurze Einführung in die Konzeption und die Arbeiten der Künstlerin geben.
Ich starte mit dem Zitat, dass Sie bereits auf der Einladungskarte lesen konnten:
„… und wirklich begann das Glas zu schmelzen und sich in einen hellen, silbernen Nebel zu verwandeln. Im Augenblick war Alice durch das Glas hindurch und in das Spiegelzimmer gesprungen.“
Der kurze Textausschnitt stammt aus Lewis Carrolls Buch „Alice hinter den Spiegeln“, der Fortsetzung des Romans „Alice im Wunderland“.
In der Geschichte betritt Alice durch einen Spiegel eine fantastische Welt, eine gespiegelte Version ihrer Realität, bzw. der Realität des Autors. Gemäß einem Schachspiel bewegt sie sich auf schwarzen und weißen Feldern und erlebt dort verschiedene Abenteuer. In dem vermeintlichen Unsinn, der einen Kosmos voller Absurditäten, Rätsel und Metaphern eröffnet, versteckt nach literaturwissenschaftlicher Meinung Carroll Zeitkritik. So spiegelt er in dem Text das viktorianische Zeitalter wider. Er hinterfragt wissenschaftliche Errungenschaften und ihre Gültigkeit, interessiert sich für zeitgenössische spirituelle Trends und lotet die Folgen des Materialismus für die Menschheit aus.
Wie Carroll in der gespiegelten Welt seiner Alice-Geschichte spiegeln auch Werke der Bildenden Kunst auf unterschiedliche Weise die Wirklichkeit. Wenn Sie also die Ausstellung betreten, sehen sie sich mit einer gespiegelten Version der Realität von Karen Bayer konfrontiert. Das, was Sie hier vorfinden, ist das Spiegelland der Künstlerin. Als Spiegel fungiert die Künstlerin selbst. Als künstlerischen Spiegel sieht sich z.B. auch Meret Oppenheim, wie sie in einem Interview mit Alain Jouffroy anmerkt auf die Frage, ob sie Alice sei: „Nein, ich bin der Spiegel.“
Der Ausstellungstitel verweist darauf, indem er eben jenen zweiten Alice-Band „Through the Looking Glass and what Alice found there“ von Lewis Carroll zitiert.
Wenn Sie nun die Arbeiten von Karen Bayer betrachten, wird dieses Spiegelland zu Ihrem individuellen eigenen. Denn Sie nähern sich den Werken mit Ihrer eigenen Geschichte, mit Ihrem eigenen Wirklichkeitsverständnis. Und so spiegeln auch Sie selbst sich in der Ausstellung wider. Es ist im Grunde wie bei einem echten Spiegel, Sie sehen immer auch sich selbst darin.
Beim Betreten der Ausstellung werden Sie feststellen, dass die einzelnen Räume verschiedene Funktionen erfüllen oder Themenbereiche behandeln. Der Eingangsbereich hat informierende Funktion. Er stimmt auf die Ausstellung ein und gibt Informationen zur Künstlerin und technischen Aspekten der Ausstellung. Hier finden Sie eine Anleitung zur Nutzung der QR-Codes an den Kunstwerken, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde, sowie die Kurzvita der Künstlerin und eine erste Holzskulptur. Die Figur zitiert Josef Beuys Performance „Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“. Zu Beginn der Aktion in der Galerie Schmela in Düsseldorf versperrte Beuys die Tür von innen und ließ die Besucher draußen. Sie konnten den Vorgang nur durch Fenster beobachten. Seinen Kopf vollständig mit Blattgold, Goldstaub und Honig bedeckt, begann er, dem toten Hasen die Bilder zu erklären: Mit dem Tier auf dem Arm, und offenbar im Zwiegespräch mit ihm, ging er durch die Ausstellung, von Objekt zu Objekt.
In Karen Bayers Skulptur werden ebenfalls einem Hasen die Kunstwerke erklärt. Sie müssen dabei allerdings nicht draußen bleiben und können an der Erklärung teilhaben. Rufen Sie dazu die zur Arbeit gehörende Digitalanimation über den QR-Code auf.
Zudem befindet sich im Eingangsbereich ein Monitor, auf dem Sie alle zu den Kunstwerken gehörenden Digitalanimationen aufrufen können.
Vom Eingangsbereich gelangen Sie in eine Art Vorraum, der zu den eigentlichen Ausstellungsräumen führt. Er entspräche damit dem Spiegel im Alice-Text. Dementsprechend zeigt die dort ausgestellte Holzskulptur eine Frauenfigur und eine Katze vor einem Spiegel und markiert so den Zugang zur Spiegelwelt.
Die daran anschließenden drei Räume sind anlehnend an die Schachfelder in Lewis Carrolls Erzählung „Through the Looking Glass“ links in einen einem weißen Feld entsprechenden Raum, rechts einem schwarzen Feld entsprechenden Raum und in der Mitte als Verbindungsraum in einen schwarz-weißen Raum eingeteilt. Dies spiegelt sich in den Sockeln der Arbeiten wieder.
In jedem dieser drei Räume hängt ein großformatiger Digitalausdruck einer Zeichnung, die das Thema des Raumes aufgreift. Dazu gehört jeweils ein Gedichtstext, der ebenfalls an der Wand platziert ist. Auch hierbei spielt die Ausstellung wieder auf den Alice-Roman an, in dem ebenfalls immer wieder Gedichte die Handlung begleiten.
Freistehend im Raum sind verschiedene thematisch zusammengehörende Plastiken angeordnet.
Im mittleren Raum dreht sich alles um die Kunstwelt. Auf dem großen Digitalausdruck ist eine Frau zu sehen, die versucht, einen Baumstamm zu erklimmen. Darauf stehen vier Männer: Michelangelo, Rodin, Picasso und Stephan Balkenhol. Picasso tritt der Frau auf die Hand und hindert sie so daran, sich zu ihnen zu gesellen. Die plastischen Arbeiten in dem Raum tragen Titel wie „Große Männer werfen große Schatten“, „Die Spaghetti-Methode“ oder „Die drei Grazien und der Fluch der Ästhetik“. Sie kreisen um Themen wie die männliche Dominanz in der Kunstszene oder Probleme des künstlerischen Schaffensprozess. Aus einem Modell des deutschen Biennalepavillons, der von den Nationalsozialisten erbaut wurde, windet sich ein Krake heraus und ergreift mit seinen vielen Armen die Ausstellungsbesucher.
Während die Arbeiten im mittleren Raum sich mit gedanklichen Prozessen oder Erlebten auseinandersetzen, reflektieren die Werke im linken Raum eher psychische Prozesse. Immer wiederkehrendes Motiv ist hier der Krake, der in einem Schwarm auf dem wandfüllenden Digitalausdruck in den Raum zu schwimmen scheint. Er kann einerseits für eine höhere Macht stehen, die mit ihren vielen Armen alles umgreift und in Besitz nimmt oder eine intelligenten Lebensform repräsentieren, wie sie oft auch in Science Fiction Filmen vorkommt.
Der rechte Raum zeigt Skulpturen und Plastiken, die die erlebte Realität widerspiegeln und diese kritisch hinterfragen. Die Zeichnung an der Wand zeigt eine Frau mit einer Hirnkoralle auf dem Kopf vor einem schwarzen Hintergrund. Sie scheint sich im Wasser zu befinden. Die Plastik „ Symbiose“ zeigt das gleiche Motiv.
Ebenfalls lässt sich in dem Raum die untergehende Titanic entdecken, fünf Frauenbüsten, denen man via QR-Code ins Gehirn blicken kann, eine schreiende Frau auf einem Sandhaufen umringt von grauen Anzugträgern, die ihren Kopf in den Sandhaufen stecken, und eine in Stein gemeißelte Frauenbüste mit einem Monitor.
Alle diese Figuren zeigen kleine Szenerien in Miniaturformat. Man blickt wie ein Puppenspieler auf sie wie auf eine Minibühne. Theoretisch könnte man eingreifen und das Geschehen verändern. Mich erinnern diese Figuren an die humorvollen mexikanischen Tag der Toten Dioramen, die Cajitas de Muertos, oder an die kleinen comicfigurartigen Holz- oder Tonpüppchen aus Krippen der Volkskunst, die bei uns Zuhause herumstehen. Die Kunsthandwerker stellen dabei nicht nur eine Krippenszene nach, sondern schildern oft alltägliche Szenen aus ihrem Leben, spiegeln also die eigene erlebte Realität wider. Eine einfache, comichafte Formensprache ist auch den Figuren von Karen Bayer zu eigen und wie die Cajitas de Muertos nähern sie sich der Wirklichkeit auf selbstironische und humorvolle Weise.
Eine weitere Dimension der Kunstwerke eröffnet sich Ihnen, wenn Sie die an den Sockeln angebrachten QR-Codes an den Kunstwerken öffnen. Aktivieren Sie dazu - wenn nicht bereits passiert - an Ihrem Handy den QR-Code-Scanner. Bringen Sie dann Ihr Handy mit der geöffneten Kamerafunktion oder der Scanner-App in unmittelbare Nähe des QR-Codes. Auf dem Handy wird Ihnen dann ein Link angezeigt, auf den Sie klicken, oder Sie werden direkt zu der verlinkten Digitalanimation geleitet. Das Hochladen der Animation kann je nach Leistungsfähigkeit der Internetverbindung etwas dauern. Eine Anleitung zum Scannen des QR-Codes finden Sie im Eingangsbereich. Ebenso haben Sie die Möglichkeit die Digitalanimationen zu allen Arbeiten - wie bereits erwähnt - auf dem kleinen Monitor im Eingangsbereich aufzurufen.
Auf weitere Erklärungen zu der Ausstellung soll verzichtet werden. Gefragt sind nun Sie. Kunstbetrachtung ist eine aktive, kreative Handlung. Schauen Sie sich die Figuren an, lesen Sie die Titel, verfolgen Sie die über QR-Code erreichbaren Digitalanimationen und finden Sie dann Ihre eigene Geschichte zu den Arbeiten.
Ich wünsche Ihnen nun einen interessanten Abend, viel Freude beim Betrachten der Ausstellung und schließe mit einem Zitat von Stephan Huber:
„In Alice ist alles, was mich an der Kunst interessiert: das Changieren von Fiktion und Realität, die Konstruktion von Parallelwelten, die Kartografie des Unterbewusstseins, surreale Kontext- und Maßstabsverschiebungen, aber auch schwarzer Humor und Bosheit.